Sonntag, 13. Februar 2011

Das Böse kommt


Manchmal möchte ich Taiwan umarmen. Und es beschützen. Vor sämtlichen bösen Einflüssen. Von außen. Natürlich ist es verklärt, wenn ich schreibe, dass ich glaube, dass auf Taiwan die besseren Menschen wohnen. Taschendiebe, Betrüger, Mörder – die gibt’s hier auch. Ganz bestimmt. Nur bin ich noch keinem einzigen begegnet. Woanders hingegen… Ich erinnere mich noch an Zeiten und Orte, da hätte ich niemals den Reisverschluss meiner Tasche versehentlich offen gelassen. Hier ist alles anders. Neulich ließ ich mein Netbook in einer Bäckerei liegen. Eine Stunde später fiel es mir auf. Eine Stunde! Man kann sagen, dass ich in Panik war. So sehr, dass ich rannte. Ich stürzte in das Geschäft, drängelte mich zur Kasse, wollte gerade erklären… Und die Verkäuferin? Sie drehte sich um. Ich dachte, wun-der-bar! Sie tut so als kenne sie mich nicht. Cle-ver. Oder sie weiß wirklich von nichts, weil ein anderer Kunde meinen Computer längst entführt hat. Ein Leben ohne Skype. Internet in der Bibliothek. Mein Netbook bei einem Fremden. Mir wurde elend, ich verfluchte mich selbst – bis sich die Verkäuferin wieder zu mir drehte, meinen, etwas bemehlten Schatz in den Händen, darauf ein Zettel mit unmissverständlicher Beschriftung: „外人“. 

So. Wir lernen also: Die Menschen hier sind gute Menschen. Jetzt ein Gegenbeispiel: Es gibt hier einen Österreicher, der bezahlt niemals, wenn er nicht muss. Jeden Tag holt er sich bei 7/11 ein Sandwich und geht einfach wieder hinaus. Er findet das okay. So lange bis ein Verkäufer etwas sagt, wird er das fortführen. Man spart viel Geld. Sagt er. Das Problem ist, dass niemand niemals irgendetwas sagen wird. Da bin ich leider sicher. Seit Monaten geht das schon so. Ich könnte diesen Österreicher umbringen! Und er ist nicht der einzige. Man hat schon von Leuten gehört, die haben riesige Wörterbücher aus Buchläden geschleppt. Ohne sie zu bezahlen. Dreist, fand eine Kommilitonin dieses Verhalten. Sie selbst hatte zuvor Messer und Gabel in der einzigen Pizzeria nahe des Campus´ geklaut. Asozial, fände ich treffender. 

Es ist also so, dass wir auf Taiwan nicht beklaut werden, einige Ausländer dafür selbst zu Dieben werden! (Und ich bin ziemlich sicher, dass sich Menschen wie der Österreicher in ihrem eigenen Land so etwas niemals trauen würden.) Wäre ich Taiwanerin, ich würde mich über so viel Frechheit aufregen! Und, wäre ich ein schwacher Mensch dazu, unter Umständen mein eigenes Verhalten überdenken…

Dass dies so geschieht, zeigt sich beim Schlange stehen. Dort vollzieht sich, situationsbedingt, schon ein sanfter, aber besorgniserregender Wandel. Jeder, der schon einmal auf der Schatzinsel war, der weiß: Im Schlange stehen sind die Taiwaner einsame Spitze! Der Gipfel der Gelassenheit und Selbstdisziplin! Ob in der MRT, an der Bushaltestelle, vor noch geschlossenen Einkaufsläden… Man reiht sich ein, wartet geduldig. Vor ein paar Wochen war ich im Palastmuseum. Auf dem WC. Stand in der Schlange. Wir waren fünf Frauen, außer mir eine Finnin und drei Taiwanerinnen. Wir standen da, ahnten nichts Böses – bis wir ein lautes Stimmengewirr hörten. Das Summen nahte und überfiel uns von hinten. Geschätzte dreißig Damen, eine Viertel-Reisegruppe sozusagen, mit fließenden Sprachkenntnissen und wenig Kleidungsstil, betraten den Raum. Sie sahen uns, die da standen, schossen vorbei und eröffneten pro einzelne Toilettentür eine neue Reihe! Unsere Schlange war vernichtet. Sekundenschnell. Nach der ersten Schockstarre murmelte ich: „Andere Länder, andere … Das sind niemals Taiwaner.“ „Sicher nicht.“, sagte die Einheimische vor mir. Und dann tat sie etwas, was ich mir nicht hätte vorstellen können. Sie begann zu drängeln, mit den Worten: „Da draußen sind noch mehr von denen! Wenn wir uns jetzt nicht so wie die verhalten, kommen wir nie dran!“ Ich finde ja, dass es umgekehrt sein müsste. Touristen sollten sich anpassen. An örtliche Gegebenheiten. Und mit dieser Anpassung meine ich nicht Drängeln und Klauen, wenn sich die Gelegenheit bietet! Wären wir doch alle Taiwaner…

1 Kommentar:

  1. Der Artikel lud zur Selbstreflektion ein (http://bobhonest.blogspot.com/2011/04/geldparen-durch-bloglesen.html). Obwohl ich nur ein einziges Mal ein Stück alten Sandkuchen geschnorrt habe (sollte eigentlich für die Hunde sein). Läuspel.

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