Samstag, 16. April 2011

Nix mit Laissez-faire.

Vor kurzem war ich in Schweden. Ich hatte von den Kindern dort schon gehört. Nicht viel Schönes. Eher nerviges. Laut. Respektlos. Überall. Nun mag ich aber Kinder. Und hatte diese Beschreibungen als maßlose Übertreibungen abgetan. Bis ich an meinem zweiten Tag in einem Café saß, es war Sonntag. Ich wollte meinen Kaffee trinken. In Ruhe. Wir saßen in einem kleinen Nebenraum, der eine Flügeltür hatte. Die war sehr schön, das fand ich auch. Weiß. Aus Holz. Weit stand sie offen. Bis da ein kleiner dicker Junge kam. Wobei – so klein war der nicht, er war mindestens zehn Jahre alt. Ein Alter, das möchte ich betonen, in dem mich meine Eltern für haftungsfähig hielten. Bei unangemessenem Verhalten in der Öffentlichkeit oder Missachtung von Tischmanieren hätte man mich zur Adoption freigegeben. 

Dieser dicke Junge also, dem war langweilig, und so entdeckte er die Tür. Er stellte sich in die Mitte, hing sich je an einen Flügel und schloss sie. Und öffnete sie. Und schloss sie. Und öffnete sie. Das ging sehr lange so. Der Rahmen ächzte. Der Junge auch. Über seinen Bauch spannte sich ein äußerst enges Spiderman-T-Shirt. (Nicht zu seinem Vorteil.) Die Anverwandten dieses Nervzwergs, Eltern und Großeltern beachteten ihn nicht. Mich hätte man bereits beim Berühren des Türgriffes zurückgepfiffen, als Kind. Nicht so die Schweden. Die machen auf Laissez-faire und schlürfen ihren Cappucino. Während ihre Kinder fremde Leute tyrannisieren. 

Ihr Europäer seid da sanfter, sagte meine taiwanische Lehrerin neulich zu mir. Sie hatte mich zuvor gefragt was meine Eltern getan hätten, wenn ich nicht auf sie hatte hören wollen. Fernseh-Verbot. Donnerwetter. Allerdings nur verbal, hatte ich hinzugefügt. Ja, sagte sie, äußerst wohlwollend. So ist das bei euch. Und ich sah in ihren Augen, dass „sanft“ eigentlich „verweichlicht“ bedeutete. Meinen Kindern habe ich natürlich mal einen Klaps gegeben, sagte sie. Das ist zu ihrem Besten und für die Eltern viel schmerzvoller, psychisch, als für die Kleinen. Oder ich habe sie eben eine Weile an die Teppich-Stange gehangen. 

Ich hielt das für einen Witz. Rein Umsetzungstechnisch. Ich erinnere mich nämlich noch sehr gut an meine Turn-Traumata im Schul-Sportunterricht. Eine Weile am Reck hängen? Nie im Leben. Nicht ohne Schmerzen. Nicht ohne Fallenlassen.

Meine Skepsis bekam Kratzer, als ich eine taiwanische Freundin zu dieser Methodik befragte. Wurdest du als Kind mal an eine Stange gehangen?, fragte ich. Sicher, wenn ich nicht brav war, sagte sie erstaunt. Du nicht? Nee, sagte ich, und ich hätte außerdem losgelassen. Ging ja nicht, sagte sie, wir waren klein, die Stange hoch. Große Güte, dachte ich. Ein Scherz. Ein sarkastischer noch dazu. Ich freute mich.

Bis heute Morgen. Neben meinem Wohnheim ist ein Kindergarten. Üblicherweise spielen die Kinder, wenn ich zur Uni gehe, im Garten, auf dem Spielplatz, im Sonnenlicht. Eine Idylle. Heute war das anders, mein Blick fiel auf die Reckstangen, wo eigentlich nie etwas los ist. (Kein Wunder.) Heute entdeckte ich ihre tatsächliche Funktion. An einer der hohen Stangen hing ein kleiner Zwerg, höchstens vier Jahre alt, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Wie ein kleiner Affe hatte er seine Beine, um den rechten Pfosten geschlungen, um die Arme zu entlasten. Neben ihm stand eine Frau in hellblauer Strickjacke und Kostüm, strengen Blickes zählend. , 十一, ,十二…  Bei jeder Zahl schnappte der Kleine nach Luft. (Ich auch.) Bis 20 ging das so. Danach wurde er heruntergehoben. Wir beide atmeten auf.

Sonntag, 13. Februar 2011

Reise-Impressionen

Mit anderen Menschen zu reisen ist fantastisch. Vor allem, wenn es fremde Menschen sind, die sich nur in Rudeln bewegen, gerne auch mal etwas lauter sind und ihre Mitreisenden traktieren. Es ist super, wenn man dann auch noch ihre Sprache versteht. Da freut man sich und wünscht aus tiefstem Herzen, man hätte Deutsch und Kunst auf Grundschullehramt studiert. Ich tue das zumindest. Denn mit dem Alter, so habe ich festgestellt, werde ich immer intoleranter. Zumindest in Flugzeugen. 

Alles begann in Amsterdam, es sollte nach Shanghai gehen. Wir standen in einer Schlange. Wir, das waren die auf der linken Seite, die Economy-Reisenden, rechts, das waren die Privilegierten. Mir macht es nichts aus zu warten. Ehrlich. Und wenn dann andere Leute versuchen, sich in die Business-Class-Schlange  hinein zu drängeln, obwohl eine nette Holländerin bei jedem lächelnd das Ticket kontrolliert, und jeden lächelnd zurückweist, der für das Ticket nicht mehr bezahlt hat, dann amüsiert mich das. Ich finde es auch lustig, wenn die Herren und Damen hinter mir erkennen, dass der Pass, den ich in den Händen halte, ein deutscher ist, ich aber auf gar keinen Fall eine echte Deutsche sein kann. Wegen meiner undeutschen Größe. Deutsche sind nämlich große Menschen. Franzosen, die sind schon kleiner. Eine Französin mit deutschem Pass? Das ist eine Überlegung wert. Das fanden die Menschen hinter mir zumindest. Und an dieser Stelle freute ich mich doch, Chinesisch zu verstehen.

Der Spaß macht schon weniger Freude, wenn man im Flugzeug dann feststellt, dass bereits die Passagiere von Reihe 20 ihr Gepäck in Reihe 42 verstauen.  Denn auf einen Reisenden kommen ein Handgepäckskoffer, eine Handtasche (auch bei Herren mehr und mehr verbreitet, mit modischem Handgelenksband) und mindestens fünf Plastiktüten. Auch die armen Kinder müssen schleppen! (Die schreien natürlich, weil sie das nicht wollen.) Gelobt sei Frankfurt, wo schärfer kontrolliert wird! Nie werde ich den leisen Triumph vergessen, als noch am Gate überschüssiges Handgepäck mit Zuzahlung aufgegeben werden musste. Ich weiß, dass das fies ist. ABER: Mir wäre heute fast ein chinesischer Hartschalen-Koffer, Farbe Lila, auf den Kopf geknallt, weil ich unter dem Fach saß, das noch nicht zum Bersten vollgestopft war. Ein Versuch war es wert, ihn in die Lücke zu quetschen! Wen stört schon Personenschaden? Während des Fluges selbst schlafen die meisten von denen zum Glück. Nur wenn sie sich auf die Toilette oder zur Gang-Gymnastik bewegen, so ziehen sie sich mit ihrem gan-zen Gewicht an der Kopflehne ihres Vordermannes hoch. Ich, als Vorderfrau, wurde böse, zog es aber vor, auch lieber zu schlafen, als mich aufzuregen oder mich weiter darüber zu wundern, dass die Dame neben mir tatsächlich ein Taschenbuch mit Mao-Zedong-Texten las. 

Man sollte nun meinen, dass alles überstanden ist, sobald man das Flugzeug verlassen hat. Aber, das vergisst man so häufig, alle, sie alle trifft man am Gepäckband wieder. Dort stehen sie, nicht einen, auch nicht einen halben Meter davor, um auf ihre Koffer zu lauern, nein! Die Schienbeine müssen schon an das Laufband gedrückt werden. So entsteht eine Mauer der Wartenden und die dahinter haben halt Pech, wenn sie ihr Gepäck nicht orten können beziehungsweise sich, sofern sie es haben durchblitzen sehen, zunächst durch mindestens zwei chinesische Sumo-Ringer zwängen müssen, um den Koffer vom Band zu ziehen. Das ist für mich als kleinwüchsige ‚Französin‘ eine besondere Strapaze! Es wundert mich wirklich, dass sich keiner auf das Band setzt und mitfährt. Durch das Loch, durch das die Koffer kommen und das immer mit einem flatternden Vorhang aus Plastikstreifen verhängt ist, ist heute jedenfalls ein Chinese hindurch gekrabbelt. Um mal ganz direkt nachzufragen, wo denn sei Gepäck bliebe. Wirk-lich! Ich weiß nicht, wie das ganze ausgegangen ist (hoffentlich wurde er verhaftet!). Ich weiß nur, dass seine Frau ihm, der da über das Gepäckband krackselte und in der Dunkelheit verschwand, bewundernde Blicke hinterherwarf. Und nicht, wie ich vor Fremdscham, am liebsten im Boden versunken wäre.

Das Böse kommt


Manchmal möchte ich Taiwan umarmen. Und es beschützen. Vor sämtlichen bösen Einflüssen. Von außen. Natürlich ist es verklärt, wenn ich schreibe, dass ich glaube, dass auf Taiwan die besseren Menschen wohnen. Taschendiebe, Betrüger, Mörder – die gibt’s hier auch. Ganz bestimmt. Nur bin ich noch keinem einzigen begegnet. Woanders hingegen… Ich erinnere mich noch an Zeiten und Orte, da hätte ich niemals den Reisverschluss meiner Tasche versehentlich offen gelassen. Hier ist alles anders. Neulich ließ ich mein Netbook in einer Bäckerei liegen. Eine Stunde später fiel es mir auf. Eine Stunde! Man kann sagen, dass ich in Panik war. So sehr, dass ich rannte. Ich stürzte in das Geschäft, drängelte mich zur Kasse, wollte gerade erklären… Und die Verkäuferin? Sie drehte sich um. Ich dachte, wun-der-bar! Sie tut so als kenne sie mich nicht. Cle-ver. Oder sie weiß wirklich von nichts, weil ein anderer Kunde meinen Computer längst entführt hat. Ein Leben ohne Skype. Internet in der Bibliothek. Mein Netbook bei einem Fremden. Mir wurde elend, ich verfluchte mich selbst – bis sich die Verkäuferin wieder zu mir drehte, meinen, etwas bemehlten Schatz in den Händen, darauf ein Zettel mit unmissverständlicher Beschriftung: „外人“. 

So. Wir lernen also: Die Menschen hier sind gute Menschen. Jetzt ein Gegenbeispiel: Es gibt hier einen Österreicher, der bezahlt niemals, wenn er nicht muss. Jeden Tag holt er sich bei 7/11 ein Sandwich und geht einfach wieder hinaus. Er findet das okay. So lange bis ein Verkäufer etwas sagt, wird er das fortführen. Man spart viel Geld. Sagt er. Das Problem ist, dass niemand niemals irgendetwas sagen wird. Da bin ich leider sicher. Seit Monaten geht das schon so. Ich könnte diesen Österreicher umbringen! Und er ist nicht der einzige. Man hat schon von Leuten gehört, die haben riesige Wörterbücher aus Buchläden geschleppt. Ohne sie zu bezahlen. Dreist, fand eine Kommilitonin dieses Verhalten. Sie selbst hatte zuvor Messer und Gabel in der einzigen Pizzeria nahe des Campus´ geklaut. Asozial, fände ich treffender. 

Es ist also so, dass wir auf Taiwan nicht beklaut werden, einige Ausländer dafür selbst zu Dieben werden! (Und ich bin ziemlich sicher, dass sich Menschen wie der Österreicher in ihrem eigenen Land so etwas niemals trauen würden.) Wäre ich Taiwanerin, ich würde mich über so viel Frechheit aufregen! Und, wäre ich ein schwacher Mensch dazu, unter Umständen mein eigenes Verhalten überdenken…

Dass dies so geschieht, zeigt sich beim Schlange stehen. Dort vollzieht sich, situationsbedingt, schon ein sanfter, aber besorgniserregender Wandel. Jeder, der schon einmal auf der Schatzinsel war, der weiß: Im Schlange stehen sind die Taiwaner einsame Spitze! Der Gipfel der Gelassenheit und Selbstdisziplin! Ob in der MRT, an der Bushaltestelle, vor noch geschlossenen Einkaufsläden… Man reiht sich ein, wartet geduldig. Vor ein paar Wochen war ich im Palastmuseum. Auf dem WC. Stand in der Schlange. Wir waren fünf Frauen, außer mir eine Finnin und drei Taiwanerinnen. Wir standen da, ahnten nichts Böses – bis wir ein lautes Stimmengewirr hörten. Das Summen nahte und überfiel uns von hinten. Geschätzte dreißig Damen, eine Viertel-Reisegruppe sozusagen, mit fließenden Sprachkenntnissen und wenig Kleidungsstil, betraten den Raum. Sie sahen uns, die da standen, schossen vorbei und eröffneten pro einzelne Toilettentür eine neue Reihe! Unsere Schlange war vernichtet. Sekundenschnell. Nach der ersten Schockstarre murmelte ich: „Andere Länder, andere … Das sind niemals Taiwaner.“ „Sicher nicht.“, sagte die Einheimische vor mir. Und dann tat sie etwas, was ich mir nicht hätte vorstellen können. Sie begann zu drängeln, mit den Worten: „Da draußen sind noch mehr von denen! Wenn wir uns jetzt nicht so wie die verhalten, kommen wir nie dran!“ Ich finde ja, dass es umgekehrt sein müsste. Touristen sollten sich anpassen. An örtliche Gegebenheiten. Und mit dieser Anpassung meine ich nicht Drängeln und Klauen, wenn sich die Gelegenheit bietet! Wären wir doch alle Taiwaner…

Zurück aus Thaiwan.

Nein, ich lebe nicht in Thailand. Aber ich tue so. Das Ganze ist nämlich so:  Ich bin für Weihnachten zurück nach Deutschland gekommen, alle freuen sich darüber. Meine Familie, Freunde, die Nachbarn, alte Mitschüler. Egal, wo man ist, im Supermarkt, im Kino – die Leute entdecken einen und nehmen Anteil. Mit der Frage: „Na, frisch aus Thailand zurück?“ Das passiert mir ständig. Am Anfang habe ich gesagt: „Taiwan. Aus Taiwan bin ich gerade gekommen.“ – „Oh, ja. Ist es dort nicht schrecklich? Ohne Menschenrechte? Mit der ganzen Kontrolle?“ (Seit dem Friedensnobelpreis sind die Menschen in Norderstedt, meiner Heimatstadt, sensibilisiert.) „Nun“, sagte ich, „Das ist wohl eher auf dem Festland so.“ Stille. Themenwechsel. Enttäuschung in der Luft. Meine Oma bat mich, die Menschen nicht zu irritieren. Das störe die Weihnachtsfreude.

Also rede ich über Thailand. Wo ich noch nie gewesen bin. Aber das macht nichts. Ich bestätige, dass es dort wunderschöne Strände gibt (davon hat man ja gelesen), die politischen Unruhen dort mein alltägliches Leben nicht sehr beeinträchtigen (was der Wahrheit entspricht) und dass die Menschen ausgesprochen freundlich sind (das bin ich ihnen wohl schuldig). Ich höre zu, lächele und versuche, angemessen zu reagieren. Zum Beispiel bei der Stadtschlachterei Rohlff neulich, da sagte die Verkäuferin sehnsuchtsvoll: „Thailand… Achja. Da essen Sie dann wohl sehr oft Saté-Spießchen? Die sollen köstlich sein.“ „Oh ja“, sagte ich, aus Shanghai mit thailändischem Essen vertraut, „Die könnte ich täglich essen.“ Die Verkäuferin strahlte. Meine Oma auch. Alle waren glücklich.

Es ist schon irgendwie unglaublich. Für einige Leute ist Asien ein einziger großer Riesenfleck auf der Landkarte, wo Menschen mit Mandelaugen leben, die alle gleich aussehen. Dass es dort zwei Länder mit einer gleich klingenden Anfangssilbe geben soll, ist un-vor-stell-bar. Und Thailand kennt man ja, als himmlisches Urlaubsland! Ein beliebtes Thema ist auch der Reis. „Die essen da nur Reis, oder?“, werde ich gerne gefragt. „Ziemlich oft“, antworte ich meistens, „Aber wir essen ja auch häufig Kartoffeln und Pasta.“ „DAS ist aber etwas ganz anderes!“ Da sind sich alle einig. Und sie empören sich, wenn ich erzähle, dass sich viele Taiwaner für unsere kohlenhydrathaltigen Beilagen ebenso wenig begeistern können wie wir für ihren Reis. Aber das spielt auch keine Rolle, denn ich studiere ja in Thailand. 

English caidan!

Es reicht. Ich habe die Nase voll - von Leuten, die sich in Sachen China, Wirtschaftswunder, gelber Gefahr und ähnlich schönen Stammtisch-Themen zu profilieren versuchen. Vor allem, wenn eben diese Menschen zu mir sagen: „Ich habe mal eine ganz spezielle Frage an dich, du studierst das doch… Was genau ist nun eigentlich Mandarin?“ Und nur für den Fall, dass einige vorhaben, jetzt mit dem Lesen aufzuhören, eines sollen sie gelernt haben - wobei ich keinen Zweifel hege, dass die Leser dieses Newsletters es nicht eigentlich schon wissen: In China essen sie keine Hunde. Zumindest nicht in dem bestialischen Umfang wie es gerne von sensationslüsternen Touristen und Austauschstudenten behauptet wird. Die meisten Chinesen, möchte ich behaupten, haben kein Interesse an Hunden. Und wenn, dann als Haustier, als Schoßhündchen, als Dekorationsobjekt. Die wenigsten werden sie gegessen haben.

Seit knapp vier Wochen studiere ich in Taipeh und bin kurz davor abzureisen. Ich habe einen Kulturschock und zwar nicht wegen der 2,6 Mio. Taiwanesen, die hier leben, sondern wegen der geschätzten zweihundert Ausländer, die mit mir studieren.

Zum ersten Mal sprachlos in meinem Leben war ich genau vor einer Woche. Ich saß mit einer Gruppe internationaler Studenten in einem italienischen Restaurant. Wo auch sonst? Denn, wie einer der Spanier, bemerkte: „Chinesisches Essen kann man nicht essen. Weißt du, es ist ganz anders und… die benutzen hier Holzstäbchen.“ Bedeutungsvolles Schweigen seiner-, Belustigung meinerseits. Dann sagte Rodriguez, genannt „Rollo“: „Nun, ich bin erst seit drei Wochen in Taipeh, aber eines fasziniert mich wirklich. Die Spuren der alten Kolonialmächte sind noch immer zu spüren.“ „Welche meinst du da genau?“, hakte ich vorsichtig nach und was dann folgte, möchte ich eigentlich nicht schreiben. „Nun ja, du weißt schon, Portugal, England… Und die Taiwanesen sehen ja, dass wir aus Europa kommen. Sie behandeln uns mit viel mehr Respekt als ihre eigenen Landsleute, die Klassenunterschiede sind noch deutlich zu spüren. Was sagst du als, ähem, Sino, Sino… China-Wissenschaftlerin dazu?“ Er strahlte. Mir fehlten die Worte.

Als ich mich über so viel Dummheit, Ignoranz, Arroganz bei einer Freundin beschwerte, sagte sie: „Weißt du, sie sind hier, weil sie BWL studieren. Es macht sich gut in ihrem Lebenslauf, du weißt schon, wegen des Wirtschaftsaufschwungs in China und so.“ Ich war gereizt und wortklauberisch, sagte: „Wir.Sind.In.Taiwan.“ – „Ja, ja, schon klar. Nur ist es eben so, dass die meisten von uns, bevor sie hierhergekommen sind, nicht einmal wussten, dass es Taiwan gibt, geschweige denn, dass es sich von  der Volksrepublik unterscheidet.“
An dieser Stelle sollte ich sagen, wer „uns“ ist. „Uns“ ist eine unerträglich große Gruppe internationaler Studenten, die BWL und International Management studieren. Für drei bis zwölf Monate sind sie hier, belegen Kurse, die in Englisch angeboten werden. Man stelle sich vor: Als Vorbereitung müssen sie englische Texte lesen. DAS ist in Spanien und Frankreich, glaubt man dieser Horde, eher unüblich. Die Amerikaner beschweren sich hingegen, dass die Professoren keine Muttersprachler sind. Wer hätte all dies vorher ahnen können?

Ohnehin lohnt es sich nicht, so auch die Meinung vieler Master-Studenten, die hier zwei Jahre sein werden, die chinesische Sprache zu lernen. Sätze wie folgende reichen vollkommen aus, um mit den Einwohnern zu kommunizieren. Hier die Top 3 der internationalen Gruppe (ich verzichte auf die Töne (Töne? Welche Töne?):
1.       Wo yao he pijiu. (Alternativ: Pijiu, pijiu!)
2.       Ni de toufa hen piaoliang. (Lustige Anekdote eines anderen Spaniers: „So hat mein Kumpel seine Freundin kennen gelernt!“)
3.       English caidan!

Ich überlege einen Verein zu gründen. Dieser Verein wird Geld sammeln, um pro Semester ein Flugzeug zu chartern, das solche Menschen außer Landes bringt. Wer möchte mitmachen?

(Erschienen im Shan-Newsletter Oktober 2010 )